Ausdrucksmalen und Trauma

Diesen Artikel habe ich für die Zeitung des Netzwerkes Ausdrucksmalen nach Laurence Fotheringham verfasst. Dieser wurde im 1. Quartal 2016 veröffentlicht.

Ausdrucksmalen und Trauma

Das Ausdrucksmalen habe ich bei Laurence kennengelernt und bin mit ihm über Jahre diesen Weg gegangen. Ich bin von Beruf Ergotherapeutin und arbeite seit fünf Jahren im Frauentherapiezentrum in München in der Praxis für Ergotherapie mit psychisch erkrankten Frauen, die oftmals traumati- siert sind. Nachdem ich von der Leitung der Praxis, Frau Schreiner, aufgefordert wurde, eine Gruppe Ausdrucksmalen anzubieten, arbeitete es in mir. Wie kann ich Ausdrucksmalen mit dem verbin- den, was ich erfahren habe über traumasensibles Arbeiten? Wo ist es wichtig, dem einen Grundsatz Vorrang zu geben vor dem anderen? Vor allem, wie kann ich die Gruppe so gestalten, dass es zum Wohl der Klientinnen ist?

Die Zusammensetzung der Gruppe wurde durch die Malwand vorgegeben: es gibt Platz für vier bis fünf Klientinnen. Auch die Zeit wird von den äußeren Rahmenbedingungen vorgegeben: drei Stunden. Eine Gruppe geht über zehn Dienstage. Voraussetzungen für die Gruppenteilnahme gestalte ich folgendermaßen: Pünktlichkeit und regelmäßige Teilnahme, Steuerungsfähigkeit von Gefühlen, Lust am Malen, Reflexionsfähigkeit und der Wunsch, mehr über sich selbst zu erfahren.

Ich gestalte die Gruppe so, dass wir zu Beginn und am Ende jeweils Zeit haben, um anzukommen und zu teilen, wie es jeder Frau geht und wie sie nach Hause gehen möchte, mit dem Fokus auf das Hier und Jetzt.

Grundsätzlich mag ich es gern, wie ich es bei Laurence gelernt habe, in Gefühle hineinzugehen, diese zu durchleben und danach zu sehen, wie es dann weitergehen kann. Dies war der Punkt, über den ich mir bei der Vorbereitung und Durchfüh- rung der Gruppe am meisten Gedanken machte. Denn dies steht dem, was ich über Trauma und dessen Folgen wusste, entgegen und kann sogar schädlich sein.

Dies ergibt sich aus folgender Situation:
Wenn ein Mensch ein Trauma erlebt (sei dies aufgrund Naturkatastrophen, Unfälle, Gewalter- fahrung, sexualisierter Gewalterfahrung etc.) so bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Im Gehirn passiert vereinfacht Folgendes: der neuere Teil des Gehirns, der Neocortex ist unter anderem zustän- dig für das Treffen bewusster Überlegungen und Entscheidungen. Dieser Teil wird automatisch bei Lebensgefahr (hier ist ein subjektives Gefühl gemeint und Auslöser für ein Trauma) ausgeschaltet und das Hirn reagiert aus dem Stammhirn heraus. Hier werden schnelle unbewusste instinkthafte Entscheidungen getroffen: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Die Situation wird aus dem Stammhirn heraus bewältigt und in diesem werden auch die Erinnerungen an diese Situation gespeichert.

So kann es sein, dass ein Mensch im bewussten alltäglichen Zustand keine abrufbaren Erinne- rungen mehr an die lebensgefährliche Situation hat. Diese können jedoch durch sogenannte Trigger wieder ausgelöst werden und zwar in jeder Situation. Es kann dies ein Geruch, ein Wort, eine Stimme, ein Blick oder ähnliches sein. Der Mensch, der dies dann erlebt und sich plötzlich wie aus dem Nichts heraus mit Gefühlen der Todesangst, Panik o.ä. überschwemmt fühlt, versteht meist nicht, was hier vor sich geht.

Was im Gehirn in dieser Situation passiert ist, dass es diesen Auslöser wahrnimmt, der Neocortex wird wieder ausgeschaltet und das Gehirn reagiert wie in der vormals (manchmal Jahre früheren) er- lebten Situation mit Kampf, Flucht oder Erstarrung. Wichtig ist es, diesen Kreislauf zu unterbrechen: die Trigger zu erkennen, sie als solche einzuord- nen und Dinge zu erlernen, die helfen, wieder ins Hier und Jetzt zu kommen (dies können Erdungs-, Orientierungs- und Achtsamkeitsübungen sein; Methoden, die über die Sinne arbeiten: hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen).

Für Betroffene bedeutet es, wenn sie immer wieder angetriggert zu werden, die Bahnen der

traumatischen Erfahrung im Gehirn wieder zu vertiefen und somit das Hirn zu schädigen, da die traumatische Erfahrung immer wieder wieder- holt wird. Es ist wie eine Autobahn, die bei jedem Auslöser wieder wie von allein befahren wird. Und nun geht es darum, Ausfahrten zu schaffen, Feld- wege anzulegen mithilfe von Methoden, Übungen. Denn die Handlungsfähigkeit ist in solchen Fällen erheblich eingeschränkt. Außer dem traumati- schen Verlauf zu folgen, ist mehr erstmal nicht möglich. So ist es wichtig, dass die Betroffenen Selbstwirksamkeit erfahren, dass sie also durch Handlung diesen Verlauf beeinflussen können.

Und hier ist also der springende Punkt, an dem es für mich immer wieder eine Gratwanderung ist, wenn die Klientinnen auf ihren Bildern Hoffnungs- losigkeit, Verzweiflung und Ängste darstellen und diese Gefühle auch unmittelbar erleben.

Mir ist eines ganz bewusst geworden: um eine traumatische Erfahrung verarbeiten zu können, bedarf es einer guten, sicheren Bindung und den professionellen Hintergrund einer Psychotherapie. Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, brauchen lange Zeit, um eine Bindung einzugehen.

Dies gelingt in der Länge einer Gruppe Ausdrucks- malen oftmals nicht. So bin ich selbst sorgsam und achtsam bei der Begleitung, nehme wahr und be- obachte, wie es den Klientinnen geht und was auf den Bildern entsteht. So ist immer wieder Thema, welche Methoden jede Klientin bisher gefunden hat, sich zu regulieren. Denn so kann ich ihnen, wenn sie beim Malen von traumatischen Gefühlen überschwemmt werden sollten kommen, Hilfestellungen geben.

Durch ein Beispiel, das ich hier gern erzähle, ist mir bewusst geworden, dass es nichts bringt, wenn eine Klientin immer wieder oben genannte Gefühle darstellt und erlebt.

Die Klientin, von der ich berichten möchte, war 60 Jahre alt, war psychisch erkrankt, war in Alters- teilzeit, hatte eine erwachsene Tochter, lebte allein und war geschieden, ohne Partner.

Sie malte immer wieder Bilder, die von schwarz und rot geprägt waren und ich erfuhr Teile ihrer Lebensgeschichte dadurch. Sie war als Baby in einem Waisenhaus gewesen, hatte Vernachlässigung und Lieblosigkeit erfahren und hatte dies in ihrer Ehe wiederholt. Nachdem ich merkte, dass sie aus diesem Strudel nicht herauskam, forderte ich sie heraus, eine andere Sichtweise einzunehmen, indem wir das Bild drehten. So konnte sie in sich hinein spüren und andere Blickwinkel erleben. Zuerst war da ein: „Drehen Sie schnell weiter, das ist ja eine Spinne, das halte ich nicht aus!“ Und so drehten wir weiter bis zur letzten Drehung, bei der sie dann auf Nachfragen sagte, dass sie hier nun einen Käfer sehe, der in ein Erdloch hineinschaut. Bei der weiteren Besprechung fragte ich nach dem Hellen, Gelben hinter dem Käfer und sie erzählte, dass hier die Sonne sei, hinter dem Käfer und wenn er nur den Kopf dreht, dann sieht er die Sonne auch. Nun hatte sie einen neuen Blickwinkel gefunden.

Die Ausdrucksmalgruppe war für diesen Tag hier beendet. Beim nächsten Mal wollte sie das Bild wieder in die Position hängen, die es zu Beginn hatte. Es konnte gut möglich sein, dass hier die alten, gewohnten Verhaltensweisen wie automatisch abliefen. Nachdem ich die Klientin darauf aufmerksam machte, stellte sie fest, dass das, was wir das letzte Mal besprochen hatten, wie vergessen gewesen war. An diesem Tag stand nun für sie ein Konflikt mit ihrem Ex-Mann im Vordergrund, der dann beim weiteren Malen des Bildes mit einfloss.

Nach eineinhalb Jahren Ausdrucksmalen hörte die Klientin auf, da sie zu einer Reha ging, und sie sagte zum Abschied, dass sie hier gelernt habe, ihren Blickwinkel zu verändern.

Meiner Ansicht nach war beides wichtig für sie: einerseits die Konfrontation mit den Gefühlen der Verzweiflung, der Angst, der Hoffnungslosigkeit und dabei das Gefühl entwickeln zu können: ja ich kann mich damit konfrontieren und ich halte es aus (wobei ich aus heutiger Sicht, früher Angebote machen würde in eine andere Richtung) wie auch die Stabilisierung — das Bild, das sie gefunden hatte: sich umzudrehen und in die Sonne schauen!!

Annette Zoller

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